Unternehmensführung

Wie Sie Ihre Lehrlinge vergraulen

Lehrlingsausbildung
10.05.2024

Vom Suchen bis zum Arbeitsalltag: Lehrlingsexperte Robert Frasch hat zehn todsichere „Tipps“, wie Sie es sich mit dem Nachwuchs verscherzen.
entmutigte Arbeiterin

Was ist Österreich nicht stolz auf seine Lehrlinge. 108.000 waren es 2023, nur eine Handvoll mehr als im Jahr davor. Die immer weniger Lehrlinge schnappen sich die großen Betriebe mit den klingenden Namen. Wenn man einen solchen nicht hat – wie findet man Nachwuchs? Wie hält man ihn? Robert Frasch, Gründer der Ausbilderplattform Lehrlingspower, kommt viel in HR-Netzwerken und bei den Jugendlichen selbst herum. Hier listet er die zehn schlimmsten Ausbildungsfehler aus der Praxis. Im Umkehrschluss: Mit dem Gegenteil fahren Sie richtig.

1. „Sagen Sie niemandem, dass Sie ausbilden...“

Keinen Kund*innen, keinen Lieferant*innen, auch nicht im Stammlokal und in den Nachbarsgeschäften. Kein Aushang im Schaufenster, kein Folder, den Sie auf die Theke legen. „Wenn niemand weiß, dass Sie Lehrlinge suchen, kommen auch keine.“ Positivbeispiel: Eine Spedition gibt ihren Fahrer*innen „Lehrlinge gesucht“-Infoblätter mit. Die drücken sie allen Kund*innen in die Hand.

2. „Kein Wort zu den Mitarbeiter*innen“

Geheimhaltung empfiehlt sich auch gegenüber den Mitarbeitenden. Die könnte ja daheim Teenagerkinder haben, welche Schulkolleg*innen, Freund*innen im Sportverein oder im Club aktivieren könnten. Tipp aus der Praxis: „Viele Unternehmen zahlen Kopfgeldprämien, wenn Mitarbeiter*innen neue Mitarbeiter*innen bringen.“ 100 Euro genügen – aber erst, wenn der Rookie ein halbes Jahr an Bord ist.

3. „TikTok für einen Traditionsbetrieb“

Trendbewusste Konzerne schwören darauf, mit TikTok junge Zielgruppen zu erreichen. „Bei Traditionsbetrieben wirkt das nur peinlich.“ Besser: Das Team bitten, einen Suchappell auf ihren privaten Social-Media-Kanälen zu posten, von Facebook bis Instagram. Der Appell gehört auch auf alle Firmenkanäle und auf die Homepage, mit direktem Link zur Personalverantwortlichen Person. Die muss dann rasch antworten, die Jungen warten nicht gern. Tipp: Manche Jobplattformen schalten Lehrlingsinserate gratis. Nachfragen!

4. „Reden Sie Jugendsprech“

Erste Hürde geschafft: Ein paar Interessent*innen haben sich beworben. Die irritieren Sie mit aufgesetzter Jugendsprache („Ey, cool, Bro“), aber auch mit Killerphrasen aus dem vorletzten Jahrhundert („Lehrjahre sind keine Herrenjahre“). Reden Sie lieber so, wie Sie damals gern angesprochen worden wären. Falls Sie der grantige Typ sind, lassen Sie Freundlichere die Bewerbungsgespräche führen. In manchen Firmen führen die älteren Lehrlinge die Interessent*innen durchs Haus – und lernen dabei selbst eine Menge. Legendär ein als ruppig bekannter Lehrling im 3. Lehrjahr, der sich über Youngsters mockierte, die nicht Bitte und Danke sagten. Als man ihm den Spiegel vorhielt, besserten sich seine Manieren schlagartig. Jetzt will er ein gutes Vorbild sein.

5. „Präsentieren Sie sich und Ihre Firma von der schlechtesten Seite.“

Die dreckige Werkstatt, die alten Pizzakartons im Eingang, der Pin-up-Kalender im Lager: Ihnen fällt das nicht mehr auf, Besucher*innen jeder Art jedoch allzu deutlich. Ernst gemeinter Rat: Gehen Sie gelegentlich durchs Haus und überlegen Sie, wie es wohl auf Außenstehende wirkt. Womit Sie Bewerber noch abschrecken können: mit Dauergequassel. Oder mit dem Gegenteil, wenn Sie sich für Ihre Bewerber*innen keine Zeit nehmen und auch nicht herausfinden wollen, was sie eigentlich interessiert. Wenn Sie sie so richtig demotivieren wollen, werken Sie neben dem Gespräch an irgendeinem Teil herum, fluchen oder jammern Sie, dass am Ende des Monats ohnehin kein Geld überbleibt.

6. Falls Ihr Opfer trotzdem anbeißt: „Geben Sie ihm die Drecksarbeit“

Typisch ist, Lehrlinge erst mal die Werkstatt zusammenkehren zu lassen. Das ist zwar notwendig, aber es kommt drauf an, wie man es rüberbringt: „Zu mehr taugst du nicht“ oder „Ich bin mal auf einen Reißnagel gestiegen, seither weiß ich, wie wichtig ein sauberer Boden für unsere Sicherheit ist.“ Umstritten ist, wie viel man beim Wurstsemmeleinkaufen lernt. Robert Frasch bricht dafür eine Lanze: „Ich habe beim Mittagseinkauf für die Belegschaft Mathematik gelernt. Addieren zu können war schlagartig nützlich.“ Auch organisieren lernte er so: „Hätte ich die Bestellungen vorher nicht sortiert, hätten mich andere Kund*innen an der Theke niedergebissen.“ Nichts gegen Wurstsemmeleinkauf, aber ein wenig mehr können Sie auch 15-Jährigen zutrauen.

7. „Reich mir mal den Kniestock“

Nichts demotiviert mehr, als wenn Sie mit Fachbegriffen um sich werfen, die nur alte Hasen verstehen. Besser: Sich besonders in den ersten Tagen viel Zeit nehmen, um alle Werkzeuge zu benamen und zu erklären, warum sie genau an diesem Platz und nirgends sonst aufbewahrt werden. Gut vorbereitete Firmen haben Schablonen mit den Konturen der Werkzeuge an der Wand hängen. So sieht auch ein Neuling auf den ersten Blick, was wohin gehört.

8. „Die verstehen eh nix“

Ironisch gemeint: „Erklären Sie bloß keine Zusammenhänge. Was verstehen 15-Jährige schon?“ Mehr als Sie denken. Deshalb erklären Sie alles. Auch Lehrlingen, die noch nicht so gut Deutsch können. Wenn sie sich akzeptiert und angenommen fühlen, lernen sie überraschend schnell. Klappt es mit dem Reden noch nicht so gut, lassen Sie sie „machen“. Oft kommt die Begeisterung über das Tun. Und die Erfolgserlebnisse.

9. „Bevorzugen Sie die Girlies“

Ein Klassiker: „Schimpfen Sie die Jungs bei jeder Gelegenheit, aber bei den Mädels im nabelfreien Top drücken Sie beide Augen zu!“ Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit: Die besten Lehrer*innen waren die fairen. Die durften ruhig streng sein, aber man konnte sich darauf verlassen, dass sie alle gleich behandelten.

10. „Zahlen Sie keinen Cent mehr als nötig“

Letzter Negativtipp: „Behandeln Sie Lehrlinge als billige Arbeitskräfte.“ Dann rennen sie Ihnen nämlich ganz schnell wieder weg. Große Unternehmen haben oft beachtliche Budgets für die Bindung ihrer Lehrlinge. Führerschein, Zusatzausbildungen, Führungen bei den Zulieferern, bei befreundeten Betrieben schnuppern… Manches kostet gar nicht viel, bringt aber Abwechslung und den berühmten Blick über den Tellerrand. Die Faustregel ist ganz einfach: Was hätte Ihnen damals gefallen?